TIPPS FÜR DIE KRISE #3 – ACHTSAMKEIT, TEIL 1
TIPPS FÜR DIE KRISE #3 – Achtsamkeit, Teil 1
Der Text ist etwas länger geworten, ich veröffentliche deshalb zuerst einmal die pdf-Datei zum Download und Ausdrucken. Der komplette html-Text kommt später.
Der dritte KRISEN-TIPP wird etwas länger. Teilweise greife ich hier ältere Texte aus meinem Blog auf, das macht nichts. Manche Dinge dürfen gerne mehrmals gesagt werden.
Warum halte ich Achtsamkeit und Meditation für so hilfreich und wichtig in der Überwindung von Krisen? Die Schriftstellerin Anaïs Nin brachte auf den Punkt, was die wissenschaftliche Psychologie auch weiß:
Wir sehen die Dinge nicht so, wie sie sind.
Wir sehen sie so, wie WIR sind.
Und wenn wir in einem Zustand von Angst, Sorge oder Panik sind, dann können wir nicht mehr realistisch denken, nicht klar entscheiden, der Körper reagiert mit Spannung und letztlich gerät durch die sogenannten automatischen „Alarm-Kaskaden“ auch unser Immunsystem unter Druck. Und all dem können wir mit Hilfe einfacher Achtsamkeits-Techniken und ein wenig Übung entgegen wirken.
WAS IST MEDITATION? WAS IST ACHTSAMKEIT?
ZEN-Garten als Symbol von Achtsamkeit
Die Idee, über Meditation, Kontemplation oder ähnliche Methoden Gelassenheit, Gesundheit und tiefere Einsicht in sich selbst und die Schöpfung (oder das Universum) zu bekommen ist uralt. Alle bekannten Religionen und Philosophien kennen Formen der konzentrierten Innenschau.
Meditation heißt – wenn ich den verschiedenen Quellen glauben darf – „tiefes Nachsinnen“. Hm .. spannend. NachSINNEN, nicht Nachdenken. Im Grunde genommen geht es nicht um konzentriertes Denken, sondern um das Gegenteil. Nicht das Denken an sich soll geschult und trainiert werden, sondern das Nicht-Denken. Achtsamkeit ist mit Meditation eng verbunden und beschreibt aufmerksames, nicht wertendes Wahrnehmen.
OK … bereit für eine kleine Übung?
- Denken Sie jetzt bitte nicht!
Wie lange haben Sie es geschafft, nicht zu denken? Sekunden? Minuten? Überhaupt nicht? Nicht so einfach, oder? Wir Menschen sind es anders gewohnt. Wir hören fast nie damit auf, zu denken. Dauernd laufen in unserem Gehirn Denkschleifen, Bewertungen oder sonstige Denkprozesse ab.
Andererseits sind die wirklich schönen Momente, die im Gedächtnis bleiben, oft genau die, in denen das unablässige Plappern in unserem Kopf zur Ruhe kommt. Wenn Sie bei einem Waldspaziergang auf einer Lichtung im Abendlicht überraschend ein Rehkitz mit seiner Mutter sehen. Oder wenn ein junger Vater sein neu geborenes Baby im Arm hält und es zum ersten Mal die Augen öffnet. Dann ist der Verstand für einen Moment still! Ja, Sie haben Recht, ich spreche aus Erfahrung.
Biologisch Interessierte könnten jetzt darauf hinweisen, dass hier „nur“ veränderte Körper-Chemie eine Rolle spielt. Stimmt. Aber das ist meiner Einschätzung nach kein Problem, sondern eher eine Art Bonus-Track. Stellen Sie sich vor, Sie könnten ein ähnliches Gefühl von Ruhe und Glück bewusst und gezielt erreichen. Die gute Nachricht: Mit ein bisschen Übung können Sie genau das lernen.
Wenn die Gedanken zur Ruhe kommen, gibt es deutliche neurochemische Veränderungen im Gehirn. Wie eine Untersuchtung von Richard Davidson am „Waisman Laboratory for Brain Imaging and Behaviour“ zeigte, steigerte sich die „neurale Aktivität einen einem […] für das Glücksempfinden zuständigen Schlüsselzentrum um 700 bis 800 Prozent“. Die Studie betraf sehr erfahrene Meditationsmeister. Sozusagen die Spitzensportler unter den Meditierenden. Aber selbst Neueinsteiger konnten schon Steigerungen um 10 bis 15 Prozent erreichen. Gute Gründe also, sich mit dem Meditieren zu beschäftigen.1
Wenn ich von Achtsamkeit & Meditation spreche, meine nicht Wohlfühl-CDs mit geführten „Meditationen“, obwohl viele davon auch hilfreich sind. Ich rede von „aktiver“ und „selbst gemachter“ Meditation, die im eigenen Hirn und im eigenen Körper statt findet. Naja … „aktiv“ ist wohl missverständlich. Die meisten Meditationsformen sind eher ein Gegenentwurf zu aktiven Leben, eine Möglichkeit nach innen zu hören. Die meisten ermöglichen es, Erfahrungen jenseits des Alltags-Selbst zu machen. Viele Menschen meditieren dementsprechend, um den „Sinn des Lebens“ zu verstehen, „tiefere Erfahrungen und Einsichten“ zu erleben oder „Erleuchtung“ zu finden. Diesen religiösen Aspekt lasse ich hier erst einmal weg.
UND WIE KANN DAS GEHEN?
Im Grund genommen ist es beim Meditieren wie beim Entspannen. Es ist ganz einfach. Mann mus sich nur genug anstrengen. (Entschuldigung, den konnte ich mir nicht verkneifen.)
Um die Gedanken zu beruhigen, gibt es zwei Haupt-Techniken: Konzentration oder Achtsamkeit.
Bei der Konzentrtions-Meditation werden Worte, Bilder oder bestimmte Körperwahrnehmungen verwendet, um die Gedanken immer wieder darauf zu konzentrieren. Bei der Achtsamkeits-Meditation geht es darum „achtsam“, also aufmerksam aber distanziert zu beobachten, welche Gedanken, Wahrnehmungen und Gefühle auftauchen, ohne sich damit zu identifizieren. Konzentration und Achtsamkeit können beide still sein, z.B. im Sitzen oder Stehen, oder auch aktiv; gehend, handelnd, bewegend.
Der Schriftsteller und Meditationslehrer Ulrich Ott beschreibt, dass ganz unabhängig von der Art der Meditation folgende Erfahrungen mit unterschiedlicher „Tiefe“ der Meditation auftauchen können2:
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Hindernisse: Unruhe, Langeweile, Motivations-/Konzentrationsprobleme
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Entspannung: Wohlbefinden, ruhige Atmung, wachsende Geduld, Ruhe
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Konzentration: Achtsamkeit, keine Anhaften an Gedanken, innere Mitte, Energiefeld, Leichtigkeit, Einsichten, Gleichmut, Frieden
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Essentielle Qualitäten: Klarheit, Wachheit, Liebe, Hingabe, Verbundenheit, Demut, Gnade, Dankbarkeit, Selbstakzeptanz
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Nicht-Dualität: Gedankenstille, Einssein, Leerheit, Grenzenlosigkeit, Transzendenz von Subjekt und Objekt
Klingt gut, oder? Wobei ich froh bin, dass auch die wirklichen Profis mit den Hindernissen anfangen. Geht mir auch oft so. Und ich komme oft nicht über Stufe 3 hinaus. Aber selbst das tut schon gut.
Ich hoffe, es ist klar geworden, warum Meditation gerade in der Krise hilfreich ist. Zur Ruhe kommen, Gelassenheit entwickeln, klarer Denken. Das können wir jetzt gut gebrauchen.
Vorübungen
GEDANKEN BEOBACHTEN …
Nehmen sie sich bitte eine Minuten Zeit und beobachten Sie Ihre Gedanken. So, als ob Sie sich selbst beim Denken zuhören würden. Beobachten Sie, welche Gedanken kommen, wie schnell, welche emotionale „Färbung“ sie haben. Beobachten Sie alle Gedanken, die kommen – ohne sie zu bewerten, ohne sie verändern zu wollen. Einfach beobachten, wie jemand am Meer, dem Spiel der Wellen zu schaut. Aber verlieren Sie sich nicht in den Gedanken. Lassen Sie sie einfach kommen und gehen … bleiben Sie in einer beobachtenden Haltung. Los gehts!
Beobachten Sie Ihre Gedanken.
Beobachten Sie …
Beobachten Sie …
Stop! Nicht weiter lesen, bevor Sie die Übung wirklich durchgeführt haben.
Glückwunsch! Ich habe Sie ein wenig auf’s Glatteis geführt. Was Sie gerade gemacht haben, war im Grunde genommen keine Vorübung sondern eine Achtsamkeitsmeditation. 🙂 Nur eine kurze und vermutlich ohne intensives Glücksgefühl oder tiefe Einsicht in die Natur der Welt, aber es war eine Meditation.
Und Sie haben – vielleicht ohne es zu merken – eine wichtige Grunderkenntnis der Meditation gemacht. Sie haben sich selbst beim Denken beobachtet. Sie sind nicht ihre Gedanken, Sie haben Gedanken. Es gibt also ein „Selbst“ jenseits Ihrer Gedanken. Was dieses Selbst ist, darüber gibt es viele Spekulationen, aber es scheint so zu sein, als ob es Sie auch ganz jenseits Ihrer Gedanken existieren.
(Ja, ich habe die Übung schon gemacht und mich gibt es auch jenseits meiner Gedanken.)
Das absichtslose Beobachten der eigenen Gedanken ist eine wertvolle Übung. Ich mag sie gerne und baue sie immer mal wieder in meinen Alltag ein. Das hilft sehr, sich besser kennen zu lernen. Wenn Sie diese Übung zwei-, dreimal am Tag nur kurz durchführen, sind Sie schon auf dem Weg zu einer meditierenden Lebensführung. Und lernen dadurch mehr und mehr, die eigenen Gedanken nicht so ernst zu nehmen.
Die zweite „Vorübung“ ist ebenfalls eine Achsamkeitsübung, nutzt aber den Körper als Anker.
ACHTSAMES GEHEN:
Die Übung stammt aus der Tradition des ZEN-Buddhismus. Auch sie ist im Grund genommen ziemlich simpel und das macht sie so elegant. Gehen Sie! Schritt für Schritt.
Der Trick dabei ist, für einige Minuten jede Bewegung – während Sie sie durchführen – in Gedanken oder laut zu beobachten und zu kommentieren. Sie beschreiben sich selbst, was Sie gerade tun:
„Fuß heben – nach vorne schwingen – aufsetzen, abrollen – Gewicht verlagern – anderen Fuß heben – nach vorne schwingen – aufsetzen, abrollen – …“
Verwenden Sie Ihre eigenen Worte, nutzen Sie meine oder reden Sie nicht. Wichtig ist nur, dass Sie jede Bewegung bewusst wahrnehmen. Bleiben Sie mit der Aufmerksamkeit ganz beim Gehen. Wenn Sie zwischendurch bemerken, dass die Gedanken abschweifen, geht es Ihnen wie allen Meditierenden. Das macht nichts. Holen Sie sich einfach wieder zurück und konzentrieren Sie sich auf die Beschreibung Ihres Gehens.
Machen Sie die Übung bitte jetzt. Einfach ausprobieren!
Gehen …
Gehen …
Gehen …
Stopp!
Wie war Ihre Erfahrung. Hatten Sie Schwierigkeiten, die ganze Zeit dabei zu bleiben? Das ist normal. Fühlen Sie sich anders? Wenn ja, ist das gut. Wenn nein, auch nicht ungewöhnlich. Wiederholen Sie die Übung ruhig immer wieder. Sie wird besser, je öfters Sie sie durchführen.
ACHTSAM-BESCHREIBENDES-HANDELN
Das ist eine meiner Lieblings-Übungen und viele meiner Klienten kennen sie schon. Das „Achtsam-Beschreibende Handeln“ ist eine besondere Methode, um sich auf den gegenwärtigen Moment einzulassen und seine Gedanken zu konzentrieren. Hilfreich, um das „Gedankenkarussell“ langsamer werden zu lassen und sich von Sorgen/Ängsten nicht überwältigen zu lassen. Wenn Sie diese kleine Achtsamkeitsübung regelmäßig durchführen, trainieren Sie Ihre Fähigkeit, gelassener zu bleiben, sich von Gedanken zu distanzieren und mehr im Augenblick zu bleiben. Je häufiger Sie üben, desto mehr entspannt und beruhigt diese Übung.
Sie können hier auch die pdf-Datei zum Achtsam-Beschreibenden Handeln herunter laden.
1. Vorbereitung:
2. Beschreibendes Handeln:
3. Beenden
Bleiben Sie gesund,
Ihr Gerald Stiehler
1 Zitiert nach: Yongey Mingyur Rinpoche: Buddha und die Wissenschaft vom Glück. Goldmann-Arkana, 2007 (4), S. 9
2 Ulrich Ott: Meditation für Skeptiker. O.W.Barth, 2010, S. 17